De Knop, Sabine
[USL-B]
In der Vergangenheit ist beim traditionellen Fremdsprachenunterricht oft ein atomisierter Ansatz mit einem Fokus auf separate Vokabellisten und die Erklärung von Grammatikregeln privilegiert worden (Herbst i. Vorb., Siepmann 2007). Neuere Erkenntnisse in der Linguistik (u.a. De Knop & Gilquin 2016, Ellis & Cadierno 2009, Herbst 2016) und der Fremdsprachendidaktik (Handwerker & Madlener 2006, Siepmann 2007) haben jedoch gezeigt, dass der Erfolg beim Fremdsprachenerwerb stark vom Erlernen bedeutungsvoller Sequenzen und Kollokationen (siehe auch Nattinger & DeCarrico 1992) abhängt. Das Modell der Konstruktionsgrammatik (Goldberg 1995 und 2006) mit Konstruktionen als Form-Bedeutungs-Paaren bietet neue Wege für das Fremdsprachenlernen. Zur Veranschaulichung befasst sich der Vortrag mit so genannten deutschen „verblosen Direktiva‟ (Jacobs 2008) und mit den Lernschwierigkeiten für französischsprachige Lernende. Als satelliten-orientierte Sprache privilegiert das Deutsche den Ausdruck des Bewegungspfads mit so genannten Satelliten, d.h. Präpositionen oder Partikeln (vgl. Talmy 2000). So sind kurze, prägnante verblose Konstruktionen, wie etwa (1) Ab ins Bett ! (2) Rauf auf den Berg! oder (3) Hinein ins Vergnügen!, die nur aus einer direktionalen Präpositionalgruppe bestehen, im Deutschen sehr beliebt. Dagegen bevorzugt Französisch als verb-orientierte Sprache eher Vollverben für den Ausdruck des Bewegungspfads. Dies führt zu möglichen Lernschwierigkeiten der verblosen Direktiva. Ausgehend von einer Belegsammlung aus zwei Comicheften auf Französisch und Deutsch (Hergé 1947, 1998; Jacobs 1980, 1991) beschreibt die Studie zuerst die semantischen, syntaktischen, morpho-syntaktischen (deutsche Kasusmarkierung) und pragmatischen (illokutionäres Potential) Charakteristika der deutschen verblosen Konstruktionen (vgl. Jacobs 2008 und Wilder 2008) im Rahmen des konstruktionistischen Modells Goldbergs (1995 und 2006). Eine bloße Beschreibung der fremden Strukturen garantiert noch kein erfolgreiches Lernen der Konstruktionen (Weidemann 2016). Eine angemessene didaktische Methodologie, die das Erlernen neuer Strukturen fördert, ist nötig. Typologisch betrachtet gehören deutsche verblose Direktiva nicht zur natürlichen Ausdrucksweise französischsprachiger Lernender, da im Französischen eher eine Tendenz besteht, Strukturen mit Vollverben zu benutzen. Übersetzungstests mit Masterstudenten der Übersetzungswissenschaften (B2-C1 Niveau im GER für Sprachen) haben unsere Erwartung bestätigt. Neuere psycholinguistische Studien zum 'structural priming' (Gries 2005; Hartsuiker et al. 2004; Hartsuiker & Bernolet 2017; Loebell & Bock 2003) bieten neue Wege zum Einüben und Erlernen der neuen Konstruktionen. Dabei ist die Grundannahme, dass durch die vorherige Lektüre eines Beispiels mit einer spezifischen Struktur Lernende die Tendenz haben, dieselbe Struktur weiter anzuwenden. Eine weitere Möglichkeit, das Erlernen der verblosen Direktiva zu fördern, besteht in der verkörperten (engl. 'embodied') Darstellung dieser Konstruktion, etwa mit Bildern oder mit Inszenierungen (Küppers et al. 2011). Die Effizienz der Methodologie wurde mit Bildbeschreibungstests bewiesen. Literatur De Knop, Sabine & Gilquin, Gaëtanelle (eds.) (2016), Applied Construction Grammar. Berlin; Boston: de Gruyter. Ellis, Nick C. & Cadierno, Teresa (2009), Constructing a second language. Introduction to the special section. Annual Review of Cognitive Linguistics 7: 11-139. Goldberg, Adele (1995), Constructions. A construction grammar approach to argument structure. Chicago: University of Chicago Press. Goldberg, Adele (2006), Constructions at work: The nature of generalization in language. Oxford: Oxford University Press. Gries, Stefan Th. (2005), Syntactic priming: A corpus-based approach. Journal of Psycholinguistic Research 34(4): 365-399. Handwerker, Brigitte & Madlener, Karin (2006), Multimedia-Chunks für Deutsch als Fremdsprache. Ein Lernmodul zur Entwicklung lexikalisch-grammatischer Kompetenz. In Hahn, A. & Klippel, F. (eds.), Sprachen schaffen Chancen, 199-206. München: Oldenbourg. Hartsuiker, Robert J. & Sarah Bernolet (2017), The development of shared syntax in second language learning. Bilingualism: Language and Cognition 20(2): 219-234. Hartsuiker, Robert J., Martin J. Pickering, & Eline Veltkamp (2004), Is syntax separate or shared between languages? Cross-linguistic syntactic priming in Spanish-English bilinguals. Psychological Science 15(6): 409-414. Herbst, Thomas (i. Vorb.), Über Kognition zur Konstruktion — Zielorientiertes Lernen fremdsprachlicher Konstruktionen von links nach rechts. In Erfurt, Jürgen & Sabine De Knop (Hrsg.), Konstruktionsgrammatik und Mehrsprachigkeit. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST). Herbst, Thomas (2016), Foreign language learning is construction learning – what else? Moving towards Pedagogical Construction Grammar. In De Knop, Sabine & Gilquin, Gaëtanelle (eds.), Applied Construction Grammar, 21-52. Berlin; Boston: de Gruyter. Jacobs, Joachim (2008), Wozu Konstruktionen? Linguistische Berichte 213: 3-44. Küppers, Almut, Torben Schmidt & Maik Walter (Hrsg.) (2011), Inszenierungen im Fremdsprachenunterricht. Grundlagen, Formen, Perspektiven. Braunschweig: Bildungshaus Schulbuchverlage. Loebell, Helga & Kathryn Bock (2003), Structural priming across languages. Linguistics 41(5): 791-824. Nattinger, James R. & Jeanette S. DeCarrico (1992). Lexical Phrases and Language Teaching. Oxford: Oxford University Press. Siepmann, Dirk (2007), Wortschatz und Grammatik: zusammenbringen, was zusammengehört. Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung 46: 59-80. Talmy, Len (2000), Toward a Cognitive Semantics. Cambridge, MA: MIT Press. Wilder, Christopher (2008), The PP-with-DP construction. In Jacek Witkoś & Gisbert Fanselow (Hrsg.), Elements of Slavic and Germanic Grammars: A Comparative View. Papers on Topical Issues in Syntax and Morphosyntax , 235-253. Frankfurt a. M.: Peter Lang. Weideman, Albert (2016). Responsible Design in Applied Linguistics: Theory and Practice. Heidelberg: Springer Verlag. Datenquellen Hergé (1947/1982), Les aventures de Tintin - Le Crabe aux pinces d'or. Tournai: Casterman. Hergé (1998), Tim und Struppi – Die Krabbe mit den goldenen Scheren. Hamburg: Carlsen Verlag. Jacobs, Edgar P. (1980). Die Abenteuer von Blake und Mortimer. Die Diamanten-Affäre. Hamburg: Carlsen Verlag. Jacobs, Edgar P. (1991). Les aventures de Blake et Mortimer – L'affaire du collier. Bruxelles: Editions Blake et Mortimer.


Bibliographic reference |
De Knop, Sabine. Von der Konstruktionsbeschreibung zum Konstruktionslernen illustriert am Beispiel der verblosen Direktiva. In: Christoph Bürgel, Paul Gévaudan & Dirk Siepmann, Sprachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik: Konstruktionen und Konstruktionslernen, Stauffenburg Verlag : Tübingen, Germany 2021, p.241-261 |
Permanent URL |
http://hdl.handle.net/2078.3/214470 |